Prof. Dr. h. c.
mult. Rolf Knieper
Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich
mit den Verfassungsprinzipien des territorialen Staatsaufbaus, die sich
der Problematik der Abgrenzung von Kompetenzen und gleichzeitig dem Zusammenhalt
des Ganzen stellen müssen. Das ist für föderale Staaten
selbstverständlich, gilt aber auch im wirklichen Leben auch für
zentralisierte Staatsgebilde einerseits und lockerere Zusammenschlüsse
andererseits. Die Problematik wird an Beispielen aus im wesentlichen der
europäischen und der deutschen Situation abgehandelt. Bei diesen
Beispielen steht die sektorale und territoriale Verteilung finanzieller
Ressourcen im Vordergrund. Obwohl zugestanden wird, dass es sich jeweils
um eminent politische Fragen handelt, wird doch auch die (verfassungs-)rechtliche
Dimension herausgestellt und damit die Bedeutung, welche der Verfassungsgerichtsbarkeit
bei der Kanalisierung der Konflikte in für alle Streitparteien annehmbare
gewaltfreie Verfahren und friedliche Lösungen zukommt.
Abgrenzungen und Zusammenhalt in der Organisation des Staates:
Verfassungsprinzipien und verfassungsgerichtliche Konkretisierungen
I. Fragestellung
Die folgenden Ausführungen setzen das Bestehen einer größeren
Einheit voraus, die so organisiert ist, dass bestimmte Kompetenzen, Machtbefugnisse
und Gewalten in ihrem Inneren auf verschiedene Institutionen verteilt
sind.
Wer die politischen Debatten und
tatsächlichen, nicht selten gewaltsamen Geschehnisse innerhalb der
und zwischen den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verfolgt, wird erkennen,
dass hier noch ein gewaltiger Nachholbedarf für die Durchsetzung
fairer und realitätstauglicher Rechtsprinzipien und ihre Unterstützung
in die Praxis besteht. Der Beitrag soll dazu dienen, diesen Bedarf bewusst
zu machen.
II. Grundsätzliche Erwägungen
Die Motivationen für eine Aufteilung sind unterschiedlich. Sie mögen
in der Überzeugung liegen, dass eine Aufteilung von Kompetenzen zu
größerer Sachnähe und Effizienz bei der Erledigung von
vielfältigen Aufgaben führt, sie mögen durch Bürgernähe,
die Suche nach Selbstbestimmung und die Hoffnung auf die Erleichterung
demokratischer Mitsprache und auf Transparenz der Entscheidungsprozesse
begründet sein. Sie mögen aber auch dadurch entstanden sein,
dass kleinere Einheiten mehr oder weniger freiwillig zu eben dieser größeren
Einheit zusammengefügt worden sind und im Prozeß des Zusammenfügens
ein Kompromiß ausgehandelt werden muß, der bestimmte Kompetenzen
bei den kleineren Einheiten beläßt, um den Zusammenschluß
akzeptabel zu machen. Selbst wenn ein Zusammenschluß gewaltsam zustande
kommt, zum Beispiel bei Territorialeinheiten durch Annexion, zeigt die
historische Erfahrung, dass jedenfalls im Anschluß eine juristische,
vertragliche Absicherung des neuen Zustandes gesucht wird, wozu es notwendig
ist, dass im klassischen Völkerrecht - anders als im Privatrecht
- ein durch Gewalt initiierter Vertrag (zum Beispiel ein Friedensvertrag)
gültig ist und auch nicht zur Anfechtung berechtigt.
Die Aufteilung der Kompetenzen
und dementsprechend die Einrichtung und/oder der Bestand besonderer Einheiten
mag territorialen oder sektoralen Kriterien verpflichtet sein, sich also
in der Untergliederung einer größeren territorialen Einheit
in kleineren Einheiten vollziehen, die über mehr oder weniger große
Selbständigkeit verfügen, oder zu einer inhaltlichen Kompetenzverteilung
und Gewaltenteilung führen, also zum Beispiel im konstitutionellen
Staat zur Trennung von legislativer, exekutiver und judikativer Gewalt.
Die Ausgestaltung der Kompetenzverteilungen
und die Gewichte der einzelnen Gewalten innerhalb der Gesamtheit können
sehr unterschiedlich sein. Sie bewegen sich auf der einen Seite bis zu
dem Punkt, wo eine - territoriale oder sektorale - Gewalt von einer anderen
vollständig aufgesogen wird, so dass sie vielleicht noch dem Namen,
nicht aber mehr dem Inhalt nach als Kompetenzträger existiert. Ein
solcher Zustand ist erreicht, wenn zum Beispiel die Exekutive nach Belieben
die Arbeit des Parlaments diktiert oder - über das berühmte
Telefonrecht" - alle Entscheidungen der Gerichte, oder wenn
einem Gliedstaat alle Kompetenzen entzogen werden. Auf der anderen Seite
ist die Grenze einer Aufteilung der Gewalten erreicht, wenn eine Einheit
vollständig selbständig handelt und eine Rücksichtnahme
auf das Gesamte mit Erfolg und auf Dauer vollständig verweigert.
Innerhalb dieser Extreme des Aufsaugens
und des Auseinanderfallens ist eine Vielzahl von Gestaltungsvarianten
möglich und es ist sicherlich gut, eine genaue Aufgaben- und Kompetenzverteilung
zu fixieren, wobei man sich der Problematik bewußt bleiben muß,
dass eine Fixierung Verschiebungen und Veränderungsnotwendigkeiten
in der Zeit nicht ausschließen kann.
Obwohl hier territoriale Einheiten
im Vordergrund stehen, gelten auf einer sehr abstrakten Ebene die Überlegungen
zu Kompetenzverteilungen und -zentralisierungen für alle Einheiten,
also auch für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts
wie des Privatrechts, für politische Parteien, Religionsgemeinschaften
oder Kapitalgesellschaften. Entgegen dem Anschein in manchen Fällen
kann es eine vollständig monolithische, von einem Punkt oder einer
Person vollständig zentral gelenkte komplexe Einheit nicht geben.
Wo immer verschiedene soziale, professionelle, weltanschauliche, politische
oder andere Interessen zusammentreffen, ist eine Verteilung von Kompetenzen
und die Notwendigkeit ihres Austarierens gegeben. Je weniger explizit
dies anerkannt, offen thematisiert und voraussehbaren Spielregeln unterworfen
wird, desto erratischer sind die Entscheidungsprozesse. Die Alternative
zu rechtlich fixierten Verfahren ist oft ein informelles Geflecht persönlicher
Beziehungen, ein Handeln hinter den Kulissen, ein dauerndes Abstecken
von Machtsphären.
Bei den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten
innerhalb der oben angegebenen Extreme scheint mir eine Beobachtung offensichtlich:
je weniger aufgegliedert die Kompetenzen, je zentralistischer also die
Machtbefugnisse organisiert sind, desto weniger ausgeprägt ist der
Bedarf zur Koordinierung, zur Herstellung von Gemeinsamkeiten, zur Wahrung
des Gesamtinteresses. Andererseits: wenn überhaupt eine größere
Einheit erhalten werden soll, dann müssen akzeptierte Mechanismen
bestehen, die widerstehende oder gar auseinanderstrebende Interessen austarieren
und in gewissem Umfang zu einem Allgemeininteresse zusammenführen.
Je höher der Grad der Selbständigkeit und Unabhängigkeit
der Teilgewalten, desto prekärer und schwieriger wird der Prozeß
der Formulierung und Durchsetzung der Allgemeininteressen. Das gilt insbesondere
dann, wenn dieses Allgemeininteresse, ein gemeinsames Ziel, ein kollektives
Anliegen nicht klar und inhaltlich gehaltvoll definiert sind. Während
zum Beispiel das klare Ziel einer Handelsgesellschaft die Erzielung von
Gewinn ist oder einer Partei die Durchsetzung eines politischen Programms,
ist eine ähnliche Zielbestimmung bei territorialen Einheiten in der
Regel viel schwieriger, komplexer und selbst wo sie versucht wird, häufig
unpräzise. Auch der erfolgreichste, beste Weg zur Erreichung eines
Ziels oder sogar der Definition des spezifischen Allgemeininteresses stellt
sich häufig erst im Prozeß selbst heraus. Nicht selten verbergen
sich hinter einem behaupteten Allgemeininteresse in Wahrheit Partikularinteressen,
während sich umgekehrt die subjektive Verfolgung von Partikularinteressen
im Ergebnis als objektive Realisierung des Allgemeininteresses darstellen
mag.
III. Die Grundpflicht zu wechselseitiger
Rücksichtnahme
Trotz aller Schwierigkeiten halte ich es für unabweisbar, dass alle
Träger von Machtbefugnissen sowohl auf den Respekt aller anderen
Träger von Machtbefugnissen und ihrer Kompetenzen als auch auf die
Wahrung der Einheit verpflichtet sein müssen. Selbstverständlich
ist jede Institution berechtigt und verpflichtet, die ihr zugewiesenen
oder originär zustehenden Kompetenzen voll auszuschöpfen und
auszuüben; dennoch steht die Ausübung unter dem Leitmotiv der
Rücksichtnahme. Zu Recht hat etwa Oeter darauf hingewiesen, dass
es sich besonders in der Sphäre des Staatlichen dabei um politische
Konstellationen und Probleme handelt, die nicht vorschnell und übermäßig
verrechtlicht werden sollten . Dennoch kommt der Prozeß ganz ohne
rechtliche Markierungen und (verfassungs-)gerichtliche Kontrollen nicht
aus, nicht zuletzt um den Einsatz von Übermacht und physischer Gewalt
überflüssig zu machen oder wenigstens einzudämmen.
Dass es sich dabei nicht um eine
akademische und voluntaristische Meinung und Debatte handelt, belegt die
Beharrlichkeit, mit der gerade in Einheiten, in denen eine starke Aufgabenverteilung
und eine selbstbewußte Kompetenzwahrnehmung besteht, in der gerichtlichen
und außergerichtlichen Praxis Grundsätze der Rücksichtnahme
auf die jeweils anderen und der Verpflichtung auf das Gesamtinteresse
eingefordert werden und dies auch dann, wenn sie vom positiven, gesetzten
Recht nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind.
So stellt das deutsche und europäische
Kapitalgesellschaftsrecht die Befugnisse der einzelnen Gesellschaftsorgane
präzise auf und grenzt sie voneinander ab. Über die Formen der
Interaktion ist wenig ausgesagt. Rechtsprechung und Lehre haben dieses
gesetzliche Vakuum gefüllt. Sie konstruieren den Bestand von Treuepflichten
zum Beispiel des Managements gegenüber den Gesellschaftern oder die
Pflicht zur Wahrung der Belange der Gesamtgesellschaft. Diese Pflichten
bestehen neben dem gesetzlich eingeräumten und unbestrittenen Recht
zur selbständigen Geschäftsführung .
Im Prinzip gilt im Staatsorganisationsrecht
nichts anderes. Juristische Texte, die einem Zusammenschluß von
Teilstaaten oder gar Staaten zu einer größeren Einheit Form
geben, legen in der Regel mehr Gewicht darauf, die Kompetenzaufteilungen
der territorialen Einheiten genau zu beschreiben und von den Kompetenzen
der Gesamtheit abzugrenzen; das gilt für die Kompetenzen in der Gesetzgebung,
der Verwaltung, der Steuererhebung, der Gerichtsbarkeit. Auch die sektorale
Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative werden
in den Texten schwergewichtig als Problem der Abgrenzung voneinander betrachtet.
Eher selten sind Texte, die - wie zum Beispiel Art. 10 Abs. 2 des EWG-Vertrages
- die Mitglieder explizit verpflichten, die im Vertrag festgelegten Ziele
nicht zu behindern, sondern zu befördern, unabhängig davon,
welche Materien dieser oder jener Institution zur Regelung und Verwaltung
anvertraut sind .
Beinahe unabhängig aber von
der Formulierung in Verfassungsurkunden und Gründungsverträgen
größerer Einheiten setzt sich - nicht unähnlich zum Gesellschaftsrecht
- die Auffassung durch, dass ein Zusammenhalt der Einheit nicht möglich
sei ohne ein Geflecht wechselseitiger Rücksichtnahme und Treuepflichten,
die in jede Richtung gehen, das heißt von den Teileinheiten zur
Gesamtheit und umgekehrt, aber auch innerhalb der Teileinheiten. Das gilt
sowieso in Zentralstaaten, aber auch in demokratischen Bundesstaaten,
deren Verfassung Grundsätze der Gewaltenteilung realisiert. Sicherlich
wird immer wieder betont, dass die Teilstaaten und der Gesamtstaat ihre
eigenen, voneinander abgegrenzten Sphären haben und ihre Kompetenzen
in eigener Verantwortung ausüben und dass auch die Verfassungsorgane
ihre jeweiligen Sachbefugnisse in jeweils besonderer Zuständigkeit
ausüben und sich gegen Einmischungen verwahren dürfen und müssen.
Gleichzeitig aber findet sich beim Auftauchen von Konflikten wie ein roter
Faden die Aussage, dass deren Lösung unter dem Leitmotiv der wechselseitigen
Rücksichtnahme und der Treue zu stehen habe. Der auch im Gesellschaftsrecht
verwendete Begriff der Treue wird jeweils zu einem Bindestrich-Wort konkretisiert:
zur Bundestreue für die Mitglieder des Bundesstaates , zur Verfassungsorgantreue
für das Verhalten von Legislative, Exekutive und Judikative , zur
Unionstreue für den Zusammenhalt der Europäischen Union .
Die Begründungen ergeben sich
aus der allgemeinen Verpflichtung zur Realisierung des Sozialstaats, des
Rechtsstaats, der Gleichwertigkeit oder der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse,
aus der Einsicht, dass in Zeiten der Globalisierung von Handel und Kommunikation,
aber auch von Umwelt- und anderen Gefahren Souveränitäten und
Unabhängigkeiten sich mediatisieren , dass verschiedene Rechts- und
Sozialordnungen sich wechselseitig verschränken, dass das Handeln
der verschiedensten Akteure bei aller Selbständigkeit wechselseitig
aufeinander einwirkt. Es ist also richtig, darauf hinzuweisen, dass alle
diese Begriffe, Benennungen, Feststellungen hoch abstrakt und unbestimmt
bis zur Inhaltslosigkeit sind, dass sie benutzt werden können, um
die verschiedensten Ergebnisse begründen und legitimieren zu suchen.
Diese Einsicht macht die Aussagen aber nicht unrichtig (sie gelten für
viele Begriffe besonders des Verfassungsrechts), sondern warnen zu Recht
davor, dass in der praktischen Handhabung ein hohes Maß an Verantwortung
und Denkgenauigkeit, bewußter Professionalität und kritischer
Beobachtung erforderlich sind.
Nur eine Verfassungsgerichtsbarkeit,
die sich dieser Verantwortlichkeit und Schwierigkeit bewusst wird und
die Herausforderung anzunehmen bereit ist, vermag - wie keine andere Institution
- in diesem sensiblen Bereich die Momente der Abgrenzungen und des Zusammenhaltes
der territorialen Staatsgewalten mit verfassungsrechtlicher Argumentation
zum Ausgleich zu bringen.
In dieser Perspektive hat zum Beispiel
das deutsche Bundesverfassungsgericht den zugegebenermaßen vagen
Rechtsbegriff der Bundestreue oder des bundesfreundlichen Verhaltens benutzt,
um Pflichten des Bundes gegenüber den Ländern, Pflichten der
Länder untereinander und Pflichten der Länder gegenüber
dem Bund zu begründen. Es hat zum Beispiel die Pläne der Bundesregierung
durchkreuzt, eine besondere eigene private Fernsehgesellschaft zu gründen,
da sie damit ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschritten
hätte und da sie in der Art des Vorgehens, des Verhandelns, der Auswahl
der Rechtsformen rücksichtslos gehandelt hatte und damit gegen die
Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten verstoßen hätte .
Es hat Sonderwege der Länder bei der Beamtenbesoldung verbaut, da
damit die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, aber auch das Gleichgewicht
bei den Staatsausgaben gefährdet und dementsprechend das Prinzip
der Bundestreue verletzt worden wäre . Es hat in dem politisch zwischen
manchen Ländern und verschiedenen Bundesregierungen höchst umstrittenen
Bereich der Atompolitik das Prinzip der Bundestreue benutzt, um Pflichten
zur wechselseitigen Information, zur inhaltlichen Abstimmung von Argumentationen,
zur Rücksichtnahme auf die Positionen der einen und der anderen zu
begründen .
IV. Die regionale Aufteilung
finanzieller Ressourcen
Es hat endlich die Verteilung von Einnahmen und Ausgaben zwischen den
Ländern und zwischen Bund und Ländern wesentlich unter den Grundsatz
der Bundestreue gestellt, der allerdings hier in der Verfassung schon
vorgegeben ist. Auf diese im Moment wieder einmal kontroversen wechselseitigen
Verpflichtungen zum horizontalen und vertikalen Finanzausgleich zwischen
den Ländern und zwischen Bund und Ländern will ich im folgenden
aus mehreren Gründen mit einigen Worten eingehen (das wichtige Sonderproblem
der Finanzierung der Gemeinden erörtere ich hier nicht, weil es keine
wesentlichen argumentativen Sonderaspekte aufweist).
Zum ersten sind meines Erachtens
Verpflichtungen zum Finanzausgleich in der deutschen Verfassung, insbesondere
in Art. 107 GG, im Gesetz Über den Finanzausgleich zwischen
Bund und Ländern" von 1993 in der Fassung vom 20.12.2001 und
im Gesetz Über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe
für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich
unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen
(Maßstäbegesetz)" vom 09. September 2001 Konkretisierungen
der Bundestreue, des bundesfreundlichen Verhaltens und des Rechtsgrundsatzes
der wechselseitigen Rücksichtnahme. Diese Verankerungen relativieren
die Auffassung, es handele sich bei den Grundsätzen um ungeschriebenes
Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang
von dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft, des
bündischen Einstehens füreinander" gesprochen .
In der deutschen Literatur wird
neben dieses bundesstaatliche Prinzip häufig das Prinzip der Sozialstaatlichkeit
gestellt und betont, dass im Bundesstaat die finanziellen Voraussetzungen
für eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung
mit öffentlichen Leistungen geschaffen werden sollen" , damit
die Gleichwertigkeit oder gar Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse
gewährleistet ist.
Ich persönlich halte dieses
Argument für wertvoll, meine aber im Gegensatz zur Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1986, das die Pflicht zum Finanzausgleich
ausdrücklich auf den föderativen Bundesstaat beschränkt
hat, dass es in seinem allgemeinen Gehalt nicht auf bundesstaatliche Strukturen
beschränkt ist, sondern in der hier vorgetragenen Orientierung auf
alle größeren (territorialen) Einheiten anwendbar ist, die
aus kleineren, in unterschiedlicher Weise verschiedenen Einheiten zusammengesetzt
sind und die auf Dauer real existieren sollen. Staatlichkeit - gleichgültig
ob in föderaler oder zentralistischer Organisation - kann sich ohne
Finanzausstattung nicht entfalten, ebensowenig wie überregionale
mehr oder weniger lockere Verbände. (Steuer)-Einnahmen und die Finanzkraft
sind - wie der Nationalökonom Joseph Schumpeter schön formuliert
hat - die materielle Existenz des Staates" .
Auf der einen, nicht einmal bundesstaatlich
oder föderal zusammengehaltenen Seite, steht z.B. die Europäische
Union, in der ein klares, rechtlich verankertes Bewußtsein dafür
besteht, dass der Einigungsprozeß langfristig zum Scheitern verurteilt
wäre, wenn nicht unionsweit die Angleichung und Harmonisierung der
Arbeits- und Lebensverhältnisse der Bürger zum verpflichtenden
Programm erhoben würde, das die Mitgliedstaaten, aber auch die Union
selbst zu realisieren haben. Die Parallele zur nationalen sozialstaatlichen
Verpflichtung auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist
offensichtlich. Entsprechend formulieren nicht nur die Präambel und
die Grundgesetzartikel des Gründungsvertrages der Europäischen
Gemeinschaft diese Ziele als verbindliches Recht, sondern es werden in
einer Vielzahl von Fonds der Europäischen Union selbst Finanzmittel
zu Transferleistungen zur Verfügung gestellt, um diesem Prozeß
einen materiellen Gehalt zu geben. An anderer Stelle habe ich persönlich
darüber hinausgehend argumentiert, dass die Transferleistungen aus
den Industriestaaten in die sogenannten Entwicklungsländer nichts
mit einer großzügigen Hilfe zur Entwicklung dieser Staaten
zu tun hat, sondern als Beiträge zur Struktur- und Regionalpolitik
einen notwendigen Ausgleich leisten zur Herstellung und Erhaltung der
Funktionsfähigkeit der nicht nur ökonomisch, sondern zunehmend
auch politisch sich globalisierenden Verhältnisse.
Auf der anderen Seite des Spektrums
stehen die zentralistisch organisierten Staaten. Für sie ist die
Terminologie des Finanzausgleichs sicherlich unangemessen, meines Erachtens
nicht aber das Prinzip. Wenn sie als vollständige und territorial
einheitliche Staaten erhalten bleiben sollen, darf auf die Dauer keine
Region ohne angemessene Finanzausstattung bleiben. Die Geschichte ist
voll von Beispielen, wo hoch zentralisiert organisierte Staaten, die es
nicht geschafft haben, in den verschiedenen Regionen ihres Territoriums
über angemessene und reale Finanzleistungen eine Angleichung oder
Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse der Bevölkerungen herzustellen
und zu erhalten, vielleicht eine Weile mit Gewalt zusammengehalten werden
konnten, dass sich die Einheit auf Dauer aber zersetzt. Dieser Prozeß
kann die Form einer offenen Revolte gegen die Zentralgewalt annehmen oder
sich schleichend vollziehen. Auf Dauer aber setzt sich die Logik der in
der Finanzausstattung liegenden materiellen Existenz des Staates"
regelmäßig auch gegen Gewalt und Einheitsideologien durch.
Wenn hier jetzt also der Mechanismus
des deutschen Finanzausgleichs dargestellt wird, so ist gleichzeitig zu
betonen, dass hinter der spezifisch föderalen Ausprägung, die
für die konkrete deutsche Situation offensichtlich ist, immer auch
allgemeinere Prinzipien liegen, die über den Bundesstaat hinausweisen
und sowohl für lockerer organisierte Einheiten einerseits und für
den zentralistischen Staat andererseits Bedeutung haben.
Das spezifisch föderale Moment
kommt in der Ausgangssituation zum Ausdruck: Die Finanzverfassung des
Grundgesetzes realisiert die Eigenstaatlichkeit der Länder (und des
Bundes) dadurch, dass jedem einzelnen eigene öffentliche Einnahmen
zustehen, die ganz überwiegend Steuereinnahmen sind und die aus eigenem
Recht erhoben werden. Diese Einnahmen erlauben es den Ländern (und
dem Bund), ihre staatlichen Aufgaben und Ausgaben zu erfüllen, die
nicht von der Zentrale aus delegiert sind, sondern von vornherein als
gesonderte und eigenständige bestehen. Dieses auf Dauer angelegte
Konzept wird ergänzt, um Situationen ausgleichen zu können,
in denen ein Land für eine begrenzte Zeit und für eine bestimmte
Aufgabe einer Sonderbelastung ausgesetzt ist. Für bedeutende Investitionen,
die konjunkturelle Störungen oder strukturelle Ungleichgewichte zwischen
den Ländern ausgleichen sollen, kann der Bund einem Land besondere
Finanzhilfe gewähren (Art. 104a Grundgesetz).
Dieses Grundkonzept der Verteilung
von Einnahmen und Ausgaben ist genuin bundesstaatlicher Natur und hat
trotz der Möglichkeit zu temporären Finanzhilfen noch nichts
mit einem Finanzausgleich zu tun. Dieser kommt erst dann ins Spiel, wenn
sich herausstellt, dass die Normalität der bundesstaatlichen Verteilung
von Einnahmen und Ausgaben zu großen Ungleichgewichten zwischen
den einzelnen Ländern führt, weil sie eine unterschiedliche
Finanzkraft haben. In diesen Fällen sind die Länder mit einer
höheren Finanzkraft verpflichtet, den Ländern mit unterdurchschnittlicher
Finanzkraft Ausgleichszahlungen zu leisten. Diese Pflicht ergibt sich
aus Art. 107 GG, dem Finanzausgleichsgesetz von 1993 und dem Maßstäbegesetz
von 2001. Über diesen horizontalen Finanzausgleich hinaus kann der
Bund zusätzlich durch Geldzahlungen die Leistungsschwäche von
Ländern kompensieren (vertikaler Finanzausgleich).
Über die Modalitäten
der Berechnung der Finanzkraft und die Höhe der Ausgleichszahlungen
wird praktisch seit dem Bestehen der Bundesrepublik gestritten, wobei
nach der Wiedervereinigung der Streit an Schärfe zugenommen hat.
Der Streit führt regelmäßig zum Bundesverfassungsgericht,
das seine letzte Entscheidung im Jahre 1999 gefällt hat . Auf die
Darstellung dieser - sehr wichtigen - (finanz-)technischen und sozialpolitischen
Einzelheiten kommt es hier nicht an. Wesentlich ist aber, dass bei allem
Streit über die Höhe und die Modalitäten das Grundprinzip
allgemein akzeptiert wird. Das mag damit zusammenhängen, dass inzwischen
in Deutschland das Modell des Bundesstaates allgemein als positiv bewertet
und verteidigt wird und dass ein Bewußtsein dafür existiert,
dass die Eigenstaatlichkeit der Länder einerseits und ihre
Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft andererseits"
(so die Wortwahl in Art. 6 des Maßstäbegesetzes) untrennbar
zusammengehören. Hilfreich ist sicher auch die Erfahrung, dass die
Finanzkraft keine statische Größe ist, sondern dass sie sich
in der Zeit in den verschiedenen Ländern unterschiedlich entwickelt,
so dass tendenziell jedes Land ausgleichspflichtig oder ausgleichsberechtigt
werden kann.
Um eine ungefähre Vorstellung
von den realen Größenordnungen zu geben, zitiere ich die im
Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 angegeben Zahlen. Danach
betrug das Volumen des horizontalen Finanzausgleichs im Jahre 1998 DM
13,52 Milliarden und der ergänzenden Zuwendungen durch den Bund an
die leistungsschwachen Länder 25,65 Milliarden bei einem Gesamtvolumen
des Bundeshaushalts im Jahre 1998 von etwa DM 460 Milliarden.
V. Sanktionen
Das sind hohe Beträge, die tatsächlich geleistet werden müssen.
Dass dies, wenn durchaus auch mit Widerwillen und unter verschiedenem
Protest, ohne Anwendung von Zwang geschieht, liegt sicherlich - wie bereits
gesagt - daran, dass die Bundesstaatlichkeit und gerade auch die
föderale Einordnungs- und Befolgungspflicht der Länder heute
allgemein akzeptiert ist" . Ein Rückgriff auf den sogenannten
Bundeszwang" (Art. 37 Grundgesetz) ist deshalb in der Praxis
nicht nötig. Dennoch lauert dieses verfassungsrechtlich vorgesehene
scharfe Instrument im Hintergrund (und leistet vielleicht durch seine
bloße Existenz einen wirksamen Beitrag zur Einhaltung der Bundestreue).
Es handelt sich bei ihm um eine unangenehme, exzeptionelle, von Hans Kelsen
primitive Rechtstrechnik" genannte Bundesexekution"
, mit der die Bundesregierung Zwangsmaßnahmen gegen ein Land einsetzen
darf, das die ihm nach Verfassung oder Gesetz obliegenden Bundespflichten
(zu denen auch die Pflicht zum Finanzausgleich gehört) nicht erfüllt.
Die möglichen Maßnahmen
reichen von der bloßen Anweisung über die Sperrung von Finanzmitteln
und die Ersatzvornahme bis hin zur polizeilichen Gewalt . Gerade in Zeiten,
in denen die föderale Verfassungskultur noch wenig entwickelt war
und grundlegende politische Konflikte zentrifugale Kräfte freisetzen
konnten, hat es in Deutschland - wenn auch seltene - militärische
Einsätze gegen widerspenstige Länder gegeben. Auch aus anderen
Bundesstaaten wie z. B. den USA und der Schweiz wird dies berichtet. Dass
es sich keineswegs um eine Besonderheit des Föderalismus handelt,
belegen Frankreich und andere zentralistisch organisierte Staaten, wo
besonders in früheren Zeiten durchaus regionale Konflikte mit militärischen
Mitteln gelöst wurden. Inzwischen ist die primitive Rechtstechnik"
in den meisten Staaten praktisch in den Hintergrund getreten, weil sie
wegen der Bereitschaft zu Respekt vor Kompetenzaufteilungen und gleichzeitig
zum Zusammenhalt und Rücksichtnahme nicht mehr erforderlich ist.
In der deutschen Verfassung ist sie darüber hinaus auch juristisch
durch zwei Instrumente entschärft: zum einen muß der Bundesrat
- also die Vertretung der Länder - der Zwangsmaßnahme zustimmen;
zum anderen kann die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der
Bundesregierung auf Antrag des betroffenen Landes vom Bundesverfassungsgericht
überprüft werden.
Damit erkennt und nutzt die deutsche
Verfassung, dass eine professionell kompetente und neutrale, unabhängige
Verfassungsgerichtsbarkeit einen politischen Konflikt zwischen den Staatsgewalten
und Staatsorganen mit verfassungsrechtlicher Argumentation auf ein anderes
Niveau heben kann, dass also mit der Verrechtlichung eines Konfliktes
und seiner Kanalisierung in ein verfassungsgerichtliches Verfahren die
Chanceeiner zu friedlichen und gewaltfreien Lösung wächst.
Selbstverständlich sind dies
Fesseln der Machtausübung, deren praktische Wirksamkeit eine hohe
rechtsstaatliche Kultur erfordert, die nicht feststeht, sondern die sich
stets erneuern und regenerieren muß. Bei der dauerhaften Erfüllung
dieser Aufgabe ist die Einsicht hilfreich, dass wechselseitige Rücksichtnahmen
und die Einhaltung von Treuepflichten langfristig dem allgemeinen Interesse,
aber auch den vielen durchaus legitimen partikularen Interessen weit mehr
dienen als die rücksichtslose Durchsetzung kurzfristiger Vorteile.
Es ist den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu wünschen, dass die
theoretisch einfache Aussage in die praktisch schwierigen politischen
Taten umgesetzt wird. Dabei kann dem Verfassungsgericht und unter bestimmten
Umständen dem Internationalen Gerichtshof eine sehr positive Rolle
zukommen.
Резюме
Конституционные
принципы территориального устройства государства подпадают под проблематику
разграничения полномочий и одновременно обеспечения единства целого. Это
нечто само собой разумеющееся для федеративных государств, однако в действительности
применимо также и к, с одной стороны, централизованным государственным
образованиям, а с другой - к более рыхлым объединениям. Проблематика исследуется
в основном на примерах, относящихся к ситуации в Европе и, в частности,
в Германии. Эти примеры свидетельствуют о том, что на передний план выходит
секторальное и территориальное распределение финансовых ресурсов. И, хотя
следует признать, что в соответствующих случаях речь идет о высоких политических
материях, необходимо выявить также и (конституционно-) правовую составляющую,
тем самым подчеркивая значение, придаваемое конституционному судопроизводству,
переводящему конфликтные ситуации в русло приемлемых для всех конфликтующих
сторон ненасильственных процедур и мирных решений.
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